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Pressemitteilungen
Kultur
| 09. April 2020

Villa Marteau

unter schwedischer Fahne

Am 16. April vor 100 Jahren nimmt der Stargeiger Henri Marteau die schwedische Staatsbürgerschaft an.

Henri Marteau in seiner Bibliothek
Henri Marteau in seiner Villa im Jahr 1924. (Foto: Bezirk Oberfranken)

Die heutige Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau am Ortsrand von Lichtenberg, einst Sommerhaus des Starviolinisten Henri Marteau, gibt Zeugnis von bewegenden Jahren der europäischen Geschichte. Die Villa Marteau, 1913 als Sommerhaus bezogen, wird mit dem Ende des 1. Weltkriegs dauernder Aufenthaltsort des Starviolinisten und seiner Familie. Als preußischer Hofbeamter und französischer Armeeangehöriger ist der gebürtige Deutsch-Franzose mit Kriegsausbruch 1914 Repressionen ausgesetzt. In dieser ausweglosen Situation nimmt er am 16. April 1920 die schwedische Staatsbürgerschaft an, die er zeitlebens behält.

Dramatischer Wendepunkt in Marteaus steiler Karriere ist der Ausbruch des 1. Weltkriegs. Seit seinem ersten Auftritt als sechsjähriges Wunderkind vor 2.000 Zuhörern in Reims hatte sich seine Karriere märchenhaft entwickelt. Mit 13 Jahren feiert er internationale Konzerterfolge, ab 1900 gehörte er zur Spitze der internationalen Geigenwelt. Schon 1893/94 geht der kometenhaft aufsteigende junge Star-Violinist auf Amerika- und Skandinavientournee.

Seine Berufung zum Professor am Conservatoire de musique de Genève, in der Schweizer Metropole am Genfer See im Jahr 1900 ist der erste Schritt in eine herausragende Lehrtätigkeit, die 1908 mit der Berufung zum Professor an der Hochschule für Musik Berlin in der Nachfolge von Joseph Joachim ihren Höhepunkt erreicht.         

Doch mit dem Ende der alten Weltordnung gerät der große Geiger unverschuldet zwischen die politischen Fronten, denn der in Reims geborene Marteau mit Wohnsitz in Berlin ist bei Kriegsausbruch französischer Reserveoffizier. Frankreich lastet ihm an, dass er nicht in seinem Heimatland zur Armee stößt, von den Deutschen wird er andererseits trotz einer deutschen Mutter verdächtigt, ein französischer Spion zu sein. So verliert Marteau seinen Lehrstuhl, den er sieben Jahre zuvor an der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst in Berlin angetreten hatte, zweitweise wird er sogar interniert.

Kammermusikfest in Lichtenberg und Mobilmachung

Ein Blick zurück in das Jahr 1914: In Lichtenberg hatte Marteau mit seinem Freund Georg Hüttner für den 1. und 2. August ein deutsches Kammermusikfest geplant, in dessen Programmheft wohlwollende Worte zu lesen waren: „An der Straße Lichtenberg–Lobenstein hat sich Herr Kgl. Professor Henri Marteau, Lehrer an der Kgl. Akademischen Hochschule für Musik in Berlin, eine Villa erbauen lassen, die er in den Sommermonaten mit seiner Familie bewohnt. Es ist ganz natürlich, dass sich während dieser Zeit viele Schüler einfinden, die den Unterricht des berühmten Geigers genießen wollen. So ist Lichtenberg seit einigen Jahren die Studienstadt Musikbeflissener aus aller Herren Länder geworden. Deutsche, Russen, Rumänen, Bulgaren, Griechen und Amerikaner wohnen hier gemütlich und friedlich beieinander.

Marteau hatte schon im Jahr zuvor in Lichtenberg ein Konzert zu Gunsten des Turmbaufonds gegeben. Am 1. August 1914 war der Erlös den Lichtenberger Wohlfahrtseinrichtungen zugedacht. Mit der Kriegserklärung des Deutschen Reichs an diesem Tag nahm nicht nur das Weltgeschehen einen fatalen Verlauf. Auch Marteaus Leben erfuhr drastische Einschnitte. 

Während des Konzertabends erging der Mobilmachungsbefehl. „Marteau unterbrach das Konzert und wandte sich mit flammenden Worten, in welchen er sich zur deutschen Kultur bekannte, an sein Konzertpublikum. Mit seinem Streichquartett intonierte er noch Haydns Kaiserquartett, welches als nächstes in der Konzertfolge geplant war. Danach brach er das Konzert ab. Die auswärtigen Besucher reisten eilends ab.“ schreibt Dr. Ulrich Wirz, seit 1998 Verwaltungsleiter von Haus Marteau in seinem Aufsatz „Das deutsch-französische Künstlerschicksal des Geigenvirtuosen Henri Marteau“.

In der aufgeheizten Stimmung wurde Marteau verdächtigt, ein französischer Spion zu sein und musste sich dem Bezirkskommando in Hof gegenüber „ehrenwörtlich“ verpflichten, die Stadt Lichtenberg nicht ohne Genehmigung zu verlassen.

Nationalismus kostet Marteau seinen Lehrstuhl

„Während sich in Lichtenberg solche Ängste nicht gegen Marteau richteten, sah es in den Nachbarstädten und -ortschaften ganz anders aus. Dort kam auch der „Franzose“ Marteau ins Fadenkreuz der kursierenden Hysterie. Am Dienstag, dem 4. August 1914, fuhr Marteau nach Bad Steben, um die Töchter des russischen Staatsrats Wladimir Orloff zu unterrichten. Sie hielten sich mit ihrer Mutter den ganzen Sommer in Bad Steben auf, um bei Marteau Unterricht zu nehmen. Zwar hatte er sich bei einem Polizisten rückversichert, dass ihm die Fahrt nach Bad Steben zum Unterricht erlaubt sei, versäumte aber, sein Verlassen der Stadtgrenze von Lichtenberg offiziell bei den Behörden anzuzeigen. Prompt wurde er von Bad Stebener Bürgern denunziert. Das Bezirksamt Naila wertete Marteaus Verhalten als Verstoß gegen die Meldepflicht für Fahrten außerhalb des Stadtgebietes von Lichtenberg. Unter Aufsehen erregenden Umständen ließ man ihn verhaften und sein Haus durchsuchen,“ schreibt Wirz weiter. Eine Odyssee durch Lager und Gefängnisse begann.

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte Henri Marteau, seinen Lehrstuhl in Berlin wieder zu erhalten, der seine Existenz gesichert hätte. Doch die Professur in Berlin erhielt er nicht zurück. Auch sein kurzfristiges Bemühen, die preußische Staatsbürgerschaft zu erlangen, hatte keinen Erfolg. So verzichtete er schließlich auf die Lehrtätigkeit in Berlin, welche ihm eigentlich in Aussicht gestellt worden war. Erst im Februar 1917, nach Haftaufenthalten und einer Internierung im Brandenburgischen konnte der Violinist nach Lichtenberg zurückkehren, wo er und seine Frau Blanche unter Hausarrest standen. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt am 1. Juli 1917 in der Lichtenberger Johanneskirche brachte er eine Komposition aus der Zeit der Gefangenschaft zum Vortrag, ein „Adagio“ aus dem Violinkonzert op.18. „Wie ich frei wurde und das Konzertieren wiederaufnehmen konnte, habe ich allerdings – trotz oder wegen des grotesken „Friedens“ zwischen Deutschland und Frankreich – die Erfahrung machen müssen, dass der Stacheldraht noch immer nicht aus der Welt geschafft ist. Und dass es hüben, noch mehr aber wohl drüben, noch lange nicht die Vernunft ist, die sich auf dem Marsch befindet“, wird Marteau 1921 im Neuen Wiener Journal zitiert.

Marteau wird schwedischer Staatsbürger

Nach den zermürbenden Jahren des 1. Weltkriegs, enttäuscht von Deutschland und Frankreich, fand der große Geiger im Wechsel der Staatbürgerschaft für sich einen Ausweg. Schon 1894 hatte er Skandinavien mit einer großen Tournee bereist; als Förderer der schwedischen Musik war Marteau dort schon lange hoch angesehen. Bei Konzertreisen hatte er Freundschaft unter anderem mit Edvard Grieg, Jean Sibelius und Tor Aulin geschlossen. König Gustaf V. von Schweden verleiht dem berühmten Geiger die Staatsbürgerschaft für seine großen Verdienste um das schwedische Musikleben: „Es ist eine Freude und Ehre für Schweden, einen Mann Ihrer Bedeutung, der uns jahrzehntelang Zeichen seiner Verbundenheit gab, zu den Unseren zählen zu dürfen. Seien Sie uns herzlich willkommen.“

Der Geiger wird, so vermerkt er selbst auf einer Postkarte, mit dem 16. April 1920 schwedischer Staatsbürger, was ihm wieder zu größerer Freiheit verhalf: „Marteau erhielt nach seiner Einbürgerung im Frühjahr 1920 einen schwedischen Diplomatenpass, der es ihm gestattete, sich in der ganzen Welt frei zu bewegen – ein unschätzbarer Vorteil im Vergleich zu seinen international reisenden Kollegen, die noch lange unter den Restriktionen der Nachkriegszeit und unter so manch anderen Behinderungen ihrer Konzerttätigkeit zu leiden hatten.“ beschreibt Ulrich Wirz die Verbesserungen.

Blau-gelbe Fahne über Haus Marteau

Henri Marteau wollte seiner neuen Staatsbürgerschaft sichtbar Ausdruck verleihen. So wandte er sich am 15. Mai 1920 an seinen schwedischen Schüler und Freund Göran Olsson-Föllinger: „Ich bin auch sehr glücklich, Schwede zu sein, um dem ewigen deutsch-französischen Haß aus dem Weg zu gehen ... Also am 1. Juli [1920] wollen Sie kommen! Willkommen! Wissen Sie, was Sie mir mitbringen können, das ist eine schwedische Flagge. Bis Sie kommen, lasse ich mir einen Mast verfertigen, und dann hissen wir die Flagge, wenn Sie ankommen.“

Die schwedische Fahne wehte tatsächlich ab 1920 zur Verwunderung der Lichtenberger Bürger häufig an Haus Marteau in Lichtenberg (Lkr. Hof). Für Marteaus 1922 geborenen Sohn Eugen Henrik übernahm Prinz Eugen von Schweden, der jüngste Bruder König Gustav V., im Frühjahr 1923 die Patenschaft, die er dem Ehepaar Marteau im Frühjahr 1921 in einem Gespräch eher scherzhaft „für den Stammhalter der Familie Marteau“ in Aussicht gestellt hatte.

In der folgenden Zeit spielt Marteau in Schweden bis zu seinem Tod im Jahr 1934 noch 271 Konzerte. Gegenüber dem Wiener Journal äußert er sich über seine Antrittskonzertreihe im Jahr 1920: „Ich absolvierte (…) in diesem kleinen Land an fünfzig Konzerte und behielt es als stärksten Eindruck meines Lebens, dass ich Beethoven, Bach und Mozart in entlegenen Bauerndörfern, vor schlichten, bäuerlichen Menschen spielen durfte. (…) Meine Schüler schrieben mir unlängst aus Amerika: `Kommen Sie zu uns, Amerika ist das erste Land der Welt, wir haben die besten Orchester, die größten Künstler, die besten Solisten.´ Ich dachte an die Abende bei schwedischen Bauern und schrieb zurück: `Amerika mag die besten Orchester und die teuersten Solisten haben, aber Europa hat die Komponisten…`“


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