Virtuell gegen die Sucht -
VR-Brillen in der Suchtmedizin
Der Entzug ist geschafft. Hochgefühle. Mir kann keiner was. Ich bin stark. Und dann steht da die Bierflasche auf dem Tisch. Oder der Schnaps an der Supermarktkasse. Oder das Fixerbesteck im Hinterhof. Und man greift zu.
Alles nicht so schlimm – weil der Rückfall, das Nachgeben des Suchtdrucks nur virtuell passiert. Am Bezirkskrankenhaus Bayreuth können sich Suchtpatienten in realitätsnahen Szenen den Herausforderungen, die nach dem Klinikalltag auf sie warten, im geschützten Rahmen der Therapie stellen.
Die klinische Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth geht in der Therapie von abhängigen Patienten neue Wege. Mit Hilfe von VR-Brillen werden Alltagssituationen simuliert. Die Brillen täuschen dem Gehirn eine Realität vor, in der der Patient mit Herausforderungen konfrontiert wird, die es nach dem stationären Aufenthalt zu meistern gilt. Wie eben die Wein- und Bierflaschen im Supermarkt. Wer nicht suchtkrank ist, kann achtlos an diesen Regalen vorbei gehen. Für einen alkoholabhängigen Menschen ist der Besuch im Supermarkt eine Herausforderung. Ein suchtkranker Mensch steht immer wieder neu vor der Entscheidung, ob er abstinent bleibt oder rückfällig wird. Diese Entscheidung ist im geschützten Rahmen einer Therapie leicht. Im Alltag aber nicht. „Wir haben immer wieder die Situation, dass sich Patienten auf Station sicher fühlen und sich auch ein Stück weit überschätzen“, sagt Markus Salinger, Leitender Oberarzt der klinischen Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. „Zum Thema Alkohol und Drogen gehört auch immer das Thema, dass man sich austestet. Und wir haben uns gefragt, wie wir es hinbekommen können, dass sich die Patienten austesten.“ Jetzt kann dieses Gefühl der Sicherheit einem Realitätstest unterzogen werden, ohne dass es zu einer reellen Gefahr für den Patienten werde. Die Idee, VR-Brillen in der Suchttherapie einzusetzen, hatte Salinger, als er vor ein paar Jahren den Einsatz dieser Technologie für Entspannungsmethoden in einem Altenheim kennen lernte.
Natürlich weiß der Patient: Was hier passiert ist nicht echt. Doch Bild und Ton lassen die Realität verschwinden, das Gehirn spielt dem Körper einen Streich, alles fühlt sich echt an. Psychologe Nebojsa Dokmanovic demonstriert dieses Erleben. Er taucht ein in einen düsteren Hinterhof, das Drogenbesteck liegt bereit, Dokmanovic greift zu, setzt sich einen Schuss. Der Psychologe bekommt Gänsehaut, für ihn fühlt es sich tatsächlich so an, als würde er eine Nadel auf dem Arm spüren.
Das alles geschieht mit therapeutischer Begleitung. Die Patienten können hier tatsächlich erleben, wie sie reagieren, wenn sie wieder Zugang zu Alkohol und Drogen haben und in der Therapie werden Strategien erarbeitet, wie sie zurück im Alltag damit umgehen können.
Die VR-Brillen werden in Gruppentherapien eingesetzt. So profitiert nicht nur der Patient, der die Brille aufsetzt, sondern alle anderen auch – verfolgen sie das Geschehen und die Reaktion des VR-Brillen-Trägers darauf doch mit. Und: Der Einsatz der VR-Brillen sorgt für lebhafte Diskussionen, er sorgt dafür, dass sich Patienten weiter öffnen und über ihr Suchtverhalten intensiver sprechen können.
Der Einsatz der Brillen in der klinischen Suchtmedizin kann ein Anfang sein, auch in anderen Bereichen der Psychiatrie, beispielsweise der Gerontopsychiatrie oder der Psychosomatik ist Therapie, vor allem in Richtung Entspannungstechniken denkbar, sagt Eva Gill, Vorständin der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, zu der das Bezirkskrankenhaus Bayreuth gehört: „Wir gehen damit auch einen Schritt in die medizinische Zukunft.“
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